Jahrelang haben sie sich gegen permanente und systematische Angriffe des Arbeitgebers zur Wehr setzen müssen. Nachdem der Arbeitgeber die Betriebsratswahl erfolgreich angefochten hatte, stand der Betriebsrat sogar komplett vor dem Aus. Doch nun haben die IG Metall-Betriebsräte bei der Neuwahl bei einem mittelständischen Anlagenbauer in Rheinland-Pfalz klar gewonnen – vor allem weil sie die Belegschaft intensiv informiert und beteiligt haben.
Den Namen ihres Betriebs wollen sie nicht veröffentlichen, um keine alten Wunden aufzureißen. Sie hoffen auf einen Neubeginn und eine nun vertrauensvolle Zusammenarbeit. Doch sie wollen, dass wir über ihren Erfolg berichten, damit auch andere IG Metall-Betriebsräte davon profitieren.
Arbeitgeber macht Betriebsrat zum Sündenbock
Die Angriffe des Arbeitgebers begannen vor rund sechs Jahren, drei Monate vor der Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber wollte einen neuen Leiharbeiter holen, um eine Stelle in der Kantine zu besetzen. Der Betriebsrat verlangte dafür einen formalen Antrag nach Paragraf 99 Betriebsverfassungsgesetz, um einen ordentlichen Beschluss herbeizuführen und rechtlich sauber zu bleiben.
Der Antrag kam nie. Stattdessen verbreitete der Arbeitgeber über Aushänge und E-Mails: Weil der Betriebsratsvorsitzende (namentlich genannt) blockiere, bleibe die Kantine zwei Wochen geschlossen. Zugleich streuten arbeitgeberhörige Beschäftigte fast täglich Mails mit Gerüchten und Beleidigungen gegen den Betriebsrat.
„Nach Beratung mit der IG Metall und unserem Anwalt sind wir bewusst ruhig geblieben“, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. In einer Informationsveranstaltung klärten sie die Beschäftigten auf.
Geschäftsführung verbreitet Gerüchte
Er habe „ein Gerücht gehört“, dass der Betriebsratsvorsitzende Leiharbeitnehmer unter Druck setze, in die IG Metall einzutreten. Das erklärte der Geschäftsführer öffentlich auf einer von ihm anberaumten Informationsveranstaltung. Der Betriebsratsvorsitzende war an diesem Termin gerade im Urlaub und erfuhr dort davon.
Der Betriebsratsvorsitzende verwahrte sich dagegen. Der Fall drohte öffentlich zu werden. Zugleich machten sie den Fall im Betrieb zum Thema: Im Konzern, zu dem der Anlagenbauer gehört, gilt eine Compliance-Richtlinie, die das Verbreiten von Gerüchten verbietet. Daran muss sich auch die Geschäftsführung halten. Die Betriebsräte stellten sich hinter ihren Vorsitzenden: Einer wird angegriffen. Doch in Wahrheit greift der Arbeitgeber die Beschäftigten und ihre Mitbestimmung insgesamt an.
Arbeitgeber verlangt drei Wochenstunden mehr – unentgeltlich
„Wir müssen die Arbeitszeit unentgeltlich von 35 auf 38 Wochenstunden erhöhen.“ Mit dieser Ansage kam der Geschäftsführer von einem Meeting mit der Konzernleitung zum Betriebsrat. Doch die Betriebsräte ließen den Geschäftsführer abblitzen: „Mit uns nicht! Dies ist Regelungssache von Tarifverträgen. Das kann man nur mit dem Tarifpartner IG Metall aushandeln.“
Die Gefahr dabei war: Der Arbeitgeber ist zwar im Arbeitgeberverband – aber ohne Tarifbindung (OT). Das bedeutet: Alle tariflichen Bestimmungen wie zum Bespiel die Arbeitszeit sind lediglich durch die Bezugnahme auf die Tarifverträge in den Arbeitsverträgen der Beschäftigten geregelt.
Zu einer Betriebsversammlung lud der Betriebsrat den Betriebsratsvorsitzenden eines anderen Standorts des Unternehmens ein, um zu berichten. Dort hatte der Arbeitgeber den Beschäftigten Änderungskündigungen und neue, schlechtere Arbeitsverträge ohne Bezug auf den Tarif vorgelegt – und die Hälfte hatte unterschrieben, bevor der Betriebsrat davon Wind bekam.
Betriebsräte werden „herausgekauft“
Die gescheiterte Arbeitszeitverlängerung wurmte den Arbeitgeber. Er bot drei älteren, erfahrenen Betriebsräten Luxus-Altersteilzeitverträge an: Sie werden ab sofort, also schon während der aktiven Phase, bei vollen Bezügen freigestellt. „Die Kollegen konnten da nicht Nein sagen und haben direkt unterschrieben“, erzählt der Betriebsbetreuer der IG Metall.
Mit den drei Kollegen verlor der neunköpfige Betriebsrat viel Erfahrung und war dadurch substantiell geschwächt.
Betriebsrat abgewertet, Arbeitgeberhörige bevorzugt
Das Unternehmen musste Stellen einsparen. Freiwerdende Stellen im indirekten Bereich stünden zur Disposition – konkret auch die Stelle des Betriebsratsvorsitzenden. Dies schrieb die Geschäftsleitung in einem Aushang und einer E-Mail an alle Beschäftigte.
Ansonsten beobachteten die IG Metall-Betriebsräte, dass aktive IG Metall-Mitglieder konsequent benachteiligt wurden – etwa bei der Besetzung von Führungspositionen. In der Regel ist der Karriereweg für sie beendet. Arbeitgeberhörige Beschäftigte hingegen, etwa solche, die gegen die Gewerkschaft hetzen und Gerüchte verbreiten, stiegen schnell auf.
Liste des Arbeitgebers tritt zur Betriebsratswahl an
Zur Betriebsratswahl 2018 triat dann auch wieder eine „alternative“ Liste mit arbeitgebernahen Kandidaten zur Betriebsratswahl an. Das Angebot der IG Metall-Betriebsräte auf einer gemeinsamen Liste zu kandidieren, um zu einer Persönlichkeitswahl zu gelangen, schlugen sie aus.
Noch vor Einleitung der Wahl streute ein Unbekannter Gerüchte und schickte eine anonyme Mail an die Ortsverwaltung der IG Metall-Geschäftsstelle: Die IG Metall beeinflusse die Wahl. Und die Presse werde darüber demnächst informiert.
Nach dieser Betriebsratswahl hatte die IG Metall nur noch eine hauchdünne Mehrheit von fünf zu vier Sitzen im Betriebsrat.
Arbeitgeber ruft zum Austritt aus der IG Metall auf
In einer vom Arbeitgeber anberaumten Informationsveranstaltung rief der Geschäftsführer zum Austritt aus der IG Metall auf: „Ich bezahle Euch schließlich sowieso nach Tarif. Den Beitrag an die Gewerkschaft könnt Ihr Euch sparen.“
Daraufhin stellte der Geschäftsführer zudem alle Gespräche und jegliche Zusammenarbeit mit der IG Metall ein. Bei Betriebsversammlungen verließen Vertreter der Geschäftsführung regelmäßig den Saal, wenn ein IG Metall-Vertreter sprach, oder kamen erst gar nicht zur Versammlung.
Arbeitgeber ficht Betriebsratswahl erfolgreich an
Der Arbeitgeber und sein Rechtsanwalt, ein bekannter Union-Busting-Spezialist, fanden dann auch einen Grund, die Betriebsratswahl vor Gericht anzufechten. Bei der Wahl hätte ein Mitglied des Wahlvorstands zu einem Beschäftigten gesagt: „Die Warteschlange ist lang. Hol Dir doch erst mal einen Kaffee am Kaffeeautomaten. Den haben wir extra für Euch freischalten lassen.“ Dies sei angeblich Beeinflussung des Wahlverhaltens gewesen.
Die offiziellen Anfechter waren „besorgte Beschäftigte“ – darunter sogar auch ein gewähltes Betriebsratsmitglied der arbeitgebernahen Liste. Bei der Gerichtsverhandlung riefen „besorgte Beschäftigte“ weitere Verdächtigungen und Gerüchte in den Saal hinein.
Obwohl die Anfechter keinerlei Namen nannten, wer was gesagt haben soll und wer dies überhaupt gehört haben will, reichte dies bereits dem lokalen Arbeitsrichter, um die Betriebsratswahl für „unwirksam“ zu erklären.
Rücktritt des Betriebsrats und Neuwahl mit Übergangsmandat
Die IG Metall-Betriebsräte wollten in die zweite Instanz gehen. Doch ihre Anwältin Mechthild Garweg, die auf die Abwehr von Union Busting spezialisiert ist, riet ihnen ab: Kollegen hätten gegen Kollegen aussagen müssen. Aussage hätte gegen Aussage gestanden. Und eine Niederlage hätte bedeutet, dass es bis zur Neuwahl eine monatelange betriebsratslose Zeit gegeben hätte, was vermutlich auch das Ziel des Union-Busters gewesen ist.
Das hätte dem Arbeitgeber beispielsweise die Gelegenheit gegeben, bestehende Betriebsvereinbarungen einseitig zu kündigen, erklären die Betriebsräte. „Das wäre wahrscheinlich das Ende des Betriebsrats gewesen!“
Deshalb wählten Betriebsräte und IG Metall eine andere Strategie: Die Betriebsräte traten geschlossen zurück. Dadurch gab es keine betriebsratslose Zeit, sondern ein Übergangsmandat des bisherigen Betriebsrats bis zur Neuwahl.
Kehrtwende durch Kommunikation und breite Beteiligung
Bis zur Neuwahl des Betriebsrats im November 2019 setzten IG Metall-Betriebsräte und Vertrauensleute voll auf eine gute Kommunikation und Beteiligung. In Flugblättern erklärten sie ihr Vorgehen. Wir wollten nicht, dass Kollegen gegen Kollegen aussagen müssen. Und wir wollten auch keine betriebsratslose Zeit.
Zudem führten sie Gespräche mit vielen Beschäftigten. Dadurch gewannen sie 35 Kandidatinnen und Kandidaten aus allen Bereichen für die IG Metall-Liste, die das Vertrauen ihrer Kolleginnen und Kollegen genießen. Insgesamt arbeiten rund 330 Beschäftigte im Betrieb. Das bedeutete, dass bei der Neuwahl jeder zehnte Beschäftigte auf der Liste der IG Metall kandidierte.
IG Metall gewinnt 7 von 9 Betriebsratsmandaten
Der Arbeitgeber versuchte erneut, durch verschiedene Tricks die Wahl zu stören. Er verweigerte dem Wahlvorstand notwendige Schulungen und untersagte ihm, im Betrieb über die Wahl zu informieren. Nur auf einem einzigen schwarzen Brett durfte der Wahlvorstand Aushänge platzieren. Nicht einmal Wegweiser zum Wahlbüro durften am Wahltag aufgestellt werden. Zudem beorderte der Arbeitgeber am Wahltag einige Beschäftigte zu kurzfristigen Workshops. Die Wahlbeteiligung war mit 65 Prozent entsprechend vergleichsweise niedrig.
Trotz alledem: Die IG Metall ging als große Siegerin aus der Betriebsratswahl hervor – und gewann sieben von neun Mandaten. Dennoch dauerte es noch Wochen, bis der neue Betriebsrat sich konstituieren konnte – aufgrund einer bemerkenswerten Verzögerungstaktik: Die Kandidaten der Arbeitgeberliste verzichteten auf ihr Mandat – nicht alle auf einmal, sondern einer nach dem anderen, mit jeweils drei Tagen Bedenkzeit.
Union Busting ist ein Angriff auf alle Beschäftigte
Doch auch diese letzte Verzögerungstaktik ist nun ausgelaufen. Mitte Januar hat sich der neue Betriebsrat in Ausschüssen und Beauftragungen konstituiert. „Wir sind gestärkt aus dem Konflikt hervorgegangen“, meinen die Betriebsräte und ihre IG Metall-Betreuer.
„Das lag natürlich auch daran, dass wir schon seit Jahrzehnten einen IG Metall-Betriebsrat haben. Vor allem jedoch haben wir den Beschäftigten klargemacht, dass der Arbeitgeber nicht einfach ein Problem mit dem IG Metall-Betriebsrat und dem Betriebsratsvorsitzenden hat – sondern, dass er die Mitbestimmung und die Rechte aller Beschäftigten angreift, mit dem Ziel, unter anderem Einsparungen beim Entgelt zu finden und somit unsere Löhne und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“