Wenn der Arbeitgeber nicht fragt, fragen wir

Befragung

Carl Zeiss, eines der führenden Unternehmen in der Optik und Optoelektronik, investiert über 300 Millionen Euro in einen Neubau, ein Technologiezentrum am Traditionsstandort in Jena. Die Vertrauensleute von Zeiss nahmen diese Pläne auf und starteten gemeinsam mit der IG Metall Jena-Saalfeld und Gera in den Zeiss-Betrieben eine Umfrage. Die Ergebnisse fließen in die konkrete Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit ein und die Kolleginnen und Kollegen aus dem Betrieb fanden die Aktion gut.

Warum habt Ihr eine Umfrage zum Neubau gemacht?

LARS FISCHER  Der Arbeitgeber hat nur die Pläne für das riesige Projekt bekannt gegeben, ohne uns näher zu informieren. Danach haben wir lange nichts mehr gehört. In der Belegschaft kamen Gerüchte auf, Sorgen und Ängste, was mit der eigenen Abteilung und dem eigenen Arbeitsplatz passieren wird. Deshalb haben wir Aktiven beschlossen, das Thema aufzugreifen und die Kolleginnen und Kollegen direkt zu fragen, wie es ihnen mit den Neubauplänen geht.

Wie seid Ihr dann vorgegangen?

LUTZ GEYDAN  Zusammen mit den Vertrauensleuten hängten wir an fünf Tagen große Wandzeitungen auf und legten Bodensprechblasen aus – und zwar an einer stark besuchten Stelle am Eingang zur Mensa, zur Mittagszeit. Jede Kollegin und jeder Kollege war eingeladen, mitzureden. Wir fragten, was sie sich konkret für den neuen Standort wünschen, worauf sie sich freuen, was sie  befürchten und welche Informationen sie vermissen.

Wie haben die Kolleginnen und Kollegen reagiert?

LARS FISCHER  Das kam bei allen sehr gut an. Die Mensa bei uns ist dafür ideal. Wir haben vier Werkstore, aber nur einen Zugang zur Mensa. In der Produktion bei uns haben wir Schichtarbeit, mit vier Terminen haben wir fast alle Kolleginnen und Kollegen erreicht. Es gab viel gutes Feedback auf unsere Aktion, einer zum Beispiel sagte: »Die IG Metall fragt die Mitarbeiter, was sie wollen, aber unser eigener Vorstand fragt uns nicht. Warum eigentlich nicht?« Wir haben den Leuten eine Plattform geboten, ihre Meinung zu sagen, ohne Ärger mit dem Vorgesetzten fürchten zu müssen.

LUTZ GEYDAN  Auch inhaltlich kamen gute Aussagen, teilweise sehr detailliert und konkret. Wir haben gemerkt, wie intensiv die Belegschaft mitdenkt und wie viele gute Ideen es zu den unterschiedlichen Bereichen gibt. Ob Anbindung an die Bahn, mehr Tageslicht am Arbeitsplatz oder Räume für Kreativität – da kam einiges zusammen. Jetzt müssen wir die Anregungen und Ideen sortieren und schauen, was den Beschäftigten besonders wichtig ist.

Wie geht es weiter?

LARS FISCHER  Im Moment werten wir die Antworten aus und bereiten sie auf. Gleichzeitig halten wir den Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen: Auf einer Betriebsversammlung
haben wir Infokarten verteilt mit dem Hinweis, dass wir die Umfrage Mitte April präsentieren wollen. Die gesammelten Antworten fließen natürlich auch direkt in die Betriebsratsarbeit
ein, denn wir wissen ja jetzt, worauf die Kolleginnen und Kollegen besonderen Wert legen. So können wir Befürchtungen aufnehmen und die positiven Anregungen umsetzen.

LARS FISCHER  Sie hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass die Belegschaft sich einbezogen sieht, weil gesehen wird: »Die IG Metall und die Vertrauensleute kümmern sich und
nehmen uns ernst«.

LUTZ GEYDAN  Auf den Betriebsversammlungen im März haben die Vertrauensleute und wir aus der Geschäftsstelle die Ergebnisse präsentiert. Das war wichtig, weil so die Kolleginnen
und Kollegen sehen, dass wir uns gemeinsam für ihre Interessen einsetzen. Der Neubau ist ein großes Thema, das die Belegschaft bewegt. Wir haben aber noch ein zweites großes Thema vor der Brust: die Arbeitszeit bei Zeiss. Darauf konnten wir im Zuge der Aktion zum Umbau auch aufmerksam machen. Die Vertrauensleute und die Geschäftsstelle haben mit gemeinsamen Plakaten und Flyern auch darauf hingewiesen, dass wir die 35-Stunden-Woche für Zeiss fordern.

DIE HEISSEN THEMEN DER BESCHÄFTIGTEN FINDEN

Was ist das und wie handeln?

Um das richtige Thema zu finden, auf das wir unsere Kampagne aufbauen, sollten wir uns Zeit nehmen und die Auswahl mit Bedacht vornehmen. Denn nicht alle Themen, die
die Kolleginnen und Kollegen betreffen, eignen sich auch für eine erfolgreiche betriebliche Aktivierung und Mobilisierung. Eine Befragung ist neben der 1:1-Kommunikation eine Möglichkeit,
die Themen zu identifizieren. Vorgehen Bei der Diskussion und Auswahl des Kampagnenthemas sollten wir darauf achten, dass dieses vier wichtige Kriterien erfüllt. Denn ein wirklich heißes Thema ist: kollektiv, emotionalisierbar, konkret und gewinnbar.

Mehr dazu findet Ihr in unserem Praxis-Handbuch unter: www.igmetall-mehr-werden.de/das-handbuch